Rezension: Frau Komachi empfiehlt ein Buch

Fünf Menschen, fünf Lebenssituationen, fünf Bücher. In Frau Komachi empfiehlt ein Buch begleitet der Leser in voneinander unabhängigen Kurzgeschichten jeweils eine Figur, die aus der Ich-Perspektive von ihrem Leben berichtet, mit dem sie mehr oder weniger zufrieden, aber nicht glücklich ist. Auf ganz unterschiedlichen Wegen finden die fünf, die allesamt im selben Tokioter Bezirk Hatori leben, ins Gemeindezentrum des Stadtteils und die dortige Bibliothek. Die Bibliothekarin Frau Komachi wirkt auf sie aufgrund ihrer massigen Gestalt und ihrer etwas abweisenden Aura zunächst einschüchternd, erweist sich jedoch als unerwartet warmherzig und hilfreich. Mit der scheinbar simplen Frage „Wonach suchen Sie?“ legt sie die Sehnsüchte der Bibliotheksbesucher offen und empfiehlt ihnen zusätzlich zur gewünschten Fachliteratur jeweils ein Buch, das so gar nicht zu den anderen auf der Liste passen will. Mit diesem können die fünf Protagonisten der Kurzgeschichten zwar im ersten Moment nichts anfangen, doch in Verbindung mit einer „Zugabe“ in Form eines kleinen Filzobjektes hilft es ihnen schließlich, eine neue Perspektive einzunehmen oder den Mut zu fassen, etwas an ihrem Leben zu ändern.

Die Buchgestaltung

Frau Komachi empfiehlt ein Buch ist meiner Meinung nach sehr hübsch gestaltet. Das Cover erstrahlt in freundlichen Farben auf mattem Grund und hat mich im Laden direkt angesprochen und dazu bewogen, mir das Buch näher anzusehen – vermutlich auch wegen meiner großen Liebe für die Geisha-Ästhetik und wegen des Wortes „Buch“ im Titel … 😉 Positiv zu erwähnen sind auch die tolle Haptik des Buches dank der leicht strukturierten Oberfläche, die hochwertige Fadenbindung, die einen langlebigen Eindruck macht, und das Lesebändchen, dank dem man kein Lesezeichen dabeihaben oder zur üblichen Papierschnipselalternative greifen muss.

Frau Komachi empfiehlt ein Buch

Leider musste ich beim Lesen jedoch feststellen, dass die Coverillustration sehr wenig mit Frau Komachis Beschreibung im Buch zu tun hat. Eigentlich ist sie eine sehr große, an ihrem Arbeitsplatz (einem gewöhnlichen Schreibtisch) sozusagen eingequetschte Frau in Alltagskleidung und trägt stets eine weiße Haarnadel, die von großer Bedeutung für sie ist. Besonders bei Letzterer finde ich sehr schade, dass sie auf dem Cover nicht dargestellt ist. Ich habe den Eindruck, das Buch sollte einfach möglichst „japanisch“ aussehen, weshalb zum typischen Bild einer in einen Kimono gehüllten Frau im Fersensitz gegriffen wurde.

Ja, wie gesagt hat auch mich genau das angesprochen und auf das Buch aufmerksam gemacht. Dennoch bin ich ein großer Fan davon, wenn das Äußere zum Inneren passt, wenn also die Gestaltung und der Inhalt eine Einheit bilden. Sicher dient ein Cover letztlich dazu, Blicke auf sich zu ziehen und dazu beizutragen, dass das Buch möglichst oft gekauft wird. Doch ich bin sicher, dass man diesen Effekt auch hätte erzielen können, wenn man sich mehr an die Beschreibung der Autorin gehalten hätte. Schließlich sprechen die kräftigen Farben und die qualitativ hochwertige Aufmachung doch für sich und ein „japanisches Ambiente“ hätte sich auch erzeugen lassen, wenn man beispielsweise den Fokus auf die erwähnte weiße Haarnadel gelegt hätte.

Das Zusammenspiel von Cover und Geschichte ist bei anderen Werken jedenfalls definitiv besser gelungen, auch wenn Frau Komachi empfiehlt ein Buch dennoch ein hübsches Buch bleibt, das man gerne betrachtet und in die Hand nimmt.

Mein Leseerlebnis

In einigen Rezensionen wird Frau Komachi empfiehlt ein Buch dafür kritisiert, dass alle fünf Kurzgeschichten gleich aufgebaut sind und ihr Ausgang vorhersehbar ist, weshalb kein richtiger Spannungsbogen über das gesamte Buch hinweg entsteht. Tatsächlich wird auch bereits im Klappentext verraten, dass sich Frau Komachis Buchempfehlungen positiv auf das Leben der Bibliotheksbesucher auswirken, und wer auf völlig unerwartete Wendungen hofft, sollte besser zu einem anderen Buch greifen.

Dennoch habe ich persönlich die immer gleiche Struktur keineswegs als langweilig empfunden, denn ich konnte mich dank der anschaulichen Darstellung der Lebensumstände, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Sorgen und der Träume der Protagonisten in jeden einzelnen von ihnen hineinversetzen und mit ihm mitfiebern, obwohl mein eigenes Leben ganz anders aussieht als das einer gestressten berufstätigen Mutter, eines perspektivlosen Gelegenheitsarbeiters oder eines frisch gebackenen Rentners, der nicht weiß, wie er mit seiner neu gewonnenen Freizeit umgehen soll.

Schön fand ich auch, dass das Buch trotz der Unterteilung in fünf Einzelgeschichten, die sich problemlos unabhängig voneinander lesen lassen, ein großes Ganzes ergibt, da sich beispielsweise einzelne Dinge, die man über das Buch hinweg über die Frau Komachi erfährt, nach und nach zu einem Bild von ihr zusammensetzen, obwohl sie nur in wenigen Szenen vorkommt und bis auf ihr Äußeres kaum näher beschrieben wird. Zudem kommen nicht nur sie und ihre Auszubildende, sondern auch einige andere Nebencharaktere in mehreren Geschichten vor, ebenso wie das Gemeindezentrum, in dem die Bibliothek angesiedelt ist, und ein Kaufhaus. So ergibt sich aus vielen kleinen Elementen mitten im gigantischen Tokio der Mikrokosmos Hatori, in dem man sich zunehmend heimischer fühlt und alles irgendwie miteinander verbunden ist – genau wie in unserer großen Welt.

Am besten gefallen hat mir aber, dass jede Geschichte am Ende ein positives Gefühl hinterlassen hat. Frau Komachi, die das Verbindungsglied aller Kurzgeschichten bildet, aber im Grunde nur am Rande erscheint, gibt der jeweiligen Hauptfigur mit ihrer Buchempfehlung einen kleinen Denkanstoß, der jedoch große Wirkung entfaltet, indem er ihr eine neue Perspektive auf ihr Leben eröffnet und sie ermuntert, aktiv zu werden. Die Protagonisten erkennen, was sie sich wirklich wünschen, überwinden Zweifel und Ängste, probieren Neues aus und schaffen es letztlich, ihr Leben zum Besseren zu verändern. Nicht in jedem Fall wird es völlig umgekrempelt und zum Teil spielt der Zufall eine Rolle, denn natürlich lassen sich nicht alle äußeren Gegebenheiten durch eigene Handlungsweisen beeinflussen. Doch die Geschichten ermutigen den Leser, das zu ändern, was man selbst ändern kann, und vermitteln somit ein Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Fazit

Frau Komachi empfiehlt ein Buch ist ein tolles Buch für einen entspannten Sonntagnachmittag oder wenn man einen anstrengenden Arbeitstag mit einem guten Gefühl beenden möchte. Für Leser, die sich eine große, zusammenhängende Geschichte mit detailliert ausgearbeiteten Figuren und überraschenden Wendungen wünschen, ist das Buch eher nichts, doch wer eine Portion gute Laune oder einen Denkanstoß braucht, wird sicher seine Freude daran haben!

Frau Komachi empfiehlt ein Buch
Autorin: Michiko Aoyama
Originalsprache: Japanisch
Übersetzerin: Sabine Mangold
Erschienen bei: Kindler, 07/2023

Schreibe einen Kommentar